Pater Maurus Carnot Stiftung

Der Dichter

Dramatiker

Um dem Dramatiker P. Maurus Carnot gerecht zu werden, ist es wohl unumgänglich, Zeugen seiner Zeit sprechen zu lassen. An erster Stelle sei der Biograph, P. Odilo Zurkinden, zitiert: "Neben unleugbaren Schwächen eignen den Dramen Carnots auch grosse Vorzüge, die ihnen den Weg zu unzähligen Studenten- und Jugendbühnen gebahnt haben. Allen Spielen Carnots sind Tiefe des Gefühls, höchste ethische Vollendung, Schönheit des sprachlichen Ausdrucks, sowie spannende Handlung und abwechslungsreiche Bilder zu eigen. Sie besitzen etwas jugendlich Frisches, vorwärts Drängendes, Begeisterndes. Herrliche Sentenzen leuchten an vielen Stellen auf. Ein grosser Gedanke liegt allen zugrunde.“

Schon vor der Jahrhundertwende erntete P. Maurus mit "Plazidus", "Armas e Larmas" und dem "Friedensengel" grosses Lob. 1902 wurde dann "Feurige Kohlen" aufgeführt. Dieses Stück sollte den wohl grössten Ruhm aller Dramen Carnots erlangen. Das Stück wurde sogar an der Wiener Hofburg gespielt. In englischer Übersetzung wurde das Stück auch in Amerika mit grossem Erfolg aufgeführt. Das Drama erfuhr auch eine Übertragung ins Polnische.

Ein schöner Teil der Dramen ist mit der Klosterschule untrennbar verbunden. Viele hat er nicht nur für die Bühne der Klosterschule, sondern geradezu für die damaligen Schüler geschrieben. Die Schuldramen behandeln insbesondere historische Stoffe. Viele Zeitzeugen bemängeln an diesen Dramen, dass die Helden oft ein wenig zu weich gezeichnet sind. Mancher hätte sich härtere, ungerechtere und fehlbarere Personen gewünscht. Wer könnte dem gütigen und sanften Dichter diesen "Fehltritt" nicht verzeihen? Waren die Schuldramen wie "Der letzte Hohenstaufe", "Franz Pizzaro", "Feurige Kohlen", "Der Friedensengel" - um nur einige zu nennen - alle in deutscher Sprache abgefasst, so stehen die Volksstücke alle in Romanisch. Das beste unter ihnen ist "Clau Maissen". Es ist sozusagen die Krone der dramatischen Werke Carnots. Die Vorwürfe an die Schuldramen können bei den Volksstücken nicht wiederholt werden. Hier treten die Helden oft in ihrer brutalsten Stärke auf. Nicht nur die Bevölkerung des Bündner Oberlandes konnte sich mit den Personen dieser Volksstücke voll und ganz identifizieren. Geachtete und berühmte Persönlichkeiten nicht nur Graubündens waren über diese Stücke des Lobes voll. In den höchsten Tönen spricht Enrica von Handel-Manzzetti in einem Brief an den Dichter: "Und ich begann und glaubte, einen Shakespeare der Berge reden zu hören, nein, schaffen zu sehen, denn Bild um Bild entrollt sich wie eine gewaltige Vision aus dem Reich des Adlers, des Steinbocks, - des blassen Edelweiss, - des glühenden Rhododendron. - Jedes Wort so schwer von Gedanken; von Erdgeruch, von helvetischer Sonne duftend."

Die Dramen Carnots werden heute nicht mehr aufgeführt - mit einer Ausnahme: "Die Passion". Das letzte Bühnenwerk widmete P. Maurus dem "gewaltigsten Drama der Weltgeschichte", der Tragödie von Golgatha. In "vierzehn Novembernächten" soll er das Stück "Ein Spiel von Jesu Leid und Herrlichkeit" geschrieben haben.

Es wurde im Jahre 1933 erstmals in Domat/Ems gezeigt. Weitere Aufführungen folgten in Freiburg und Flums; ein entsprechendes Vorhaben im Festspielhaus in Salzburg wurde durch die Nationalsozialisten verhindert.

In seiner Passionsspiel-Fassung verzichtete P. Maurus Carnot auf alles Legendenwerk, und hielt sich streng an die Gestalten des Evangeliums. Dies war wohl mit ein Grund, weshalb die Uraufführung vom 5. März 1933 noch rund vier Stunden dauerte. Für das erste Emser Freilichtspiel im Jahre 1979 wurde der ursprünglich lange Text gekürzt sowie das Stück als Ganzes zeitgemäss gestaltet.

Die letzte Aufführung erfuhr das Stück im Jahre 1989, da nicht weniger als  elf Vorstellungen tausende von Zuschauern erfreuten.

 

Erzähler

Den breitesten Raum in Carnots literarischem Werk nehmen die Erzählungen ein. Die beiden ersten sind "Bündnerblut" und "Steinbock und Adler". Es sollten viele in deutscher und romanischer Sprache folgen. 1908 erscheinen die beiden Novellen "Der Landrichter" und "Roswitha" unter dem gemeinsamen Titel: "Schlichte Geschichten". Der Landrichter ist ein Gemälde eines kraftstrotzenden Bündners ähnlich dem des Clau Maissen. Roswitha ist die Erzählung der Benediktinernonne von Gandersheim, die im sechzehnten Jahrhundert lebte und wie P. Maurus Dramen schrieb. Ein Literaturhistoriker seiner Zeit schrieb über Roswitha: "Vielleicht steckt in keinem andern Werke Carnots so viel psychologische Feinheit, Menschenkenntnis und reifes, gütiges Urteil über die verschiedenartigsten Geistes- und Charakteranlagen wie in 'Roswitha' ."

Als Meisterwerk schon bei ihrem ersten Erscheinen in romanischer Sprache anerkannt und bewundert wurde die Novelle "Garben und Gruben", die im Original den Titel "Monas e Minas" trägt. Sie hat das Medelsertal zum Schauplatz und spielt in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, da der Geist der neuen Freiheit auch durch das rhätische Land wehte. Der Abt von Disentis, Jakob von Planezia, wird vom aufgehetzten Volk ermordet. Wuchtig sind die einzelnen Gestalten gezeichnet und ungebrochen hart werden die Ereignisse erzählt, die schliesslich zum tragischen Ende führen. Wir dürfen "Garben und Gruben" zum Besten rechnen, das P. Maurus Carnot geschrieben hat.

In dramatischen Szenen schildert "Das Glöcklein von Tarasp", wie der skrupellose Graf Duri von Matsch, in seinem Ehrgeiz und seiner Machtgier keine Schranke kennend, zum Verbrecher wird; wie er zwar vom Papst in Avignon Lossprechung von seiner Schuld erhält, dann aber, in seine Stammburg im Engadin heimgekehrt, dem Mordstahl eines Verwandten zum Opfer fällt.

"Unter den Eschen von Pleiv" lautet der poetische Titel der dritten Novelle aus dem Band "Aus  Alt Fry Rhätien". Diese Erzählung ist die letzte literarische Gabe Carnots an sein geliebtes Oberländervolk.

Am bekanntesten aller Prosaerzeugnisse dürfte wohl die Novellentrilogie "Wo die Bündnertannen rauschen" sein. Den Erzählungen, von denen je eine in einem der drei Bünde spielt, die also insgesamt gleichsam das ganze Bündnerland darstellen, hat der Dichter die Strophe vorangeschickt:

        Wo die Bündnertannen rauschen
        Hoch beim Adler, tief am Bach,
        Muss ich stillestehn und lauschen,
        Und die Seele wird mir wach.
        Freund, o frage nicht, von wannen
        Dies und jenes durch mich zieht!
        Willst du's hören? Horch, die Tannen
        Rauschen uns ihr altes Lied.

Vielen Menschen hat P. Maurus mit seinen "Kalendergeschichten", die er fast jährlich veröffentlicht hat, grosse Freude und Unterhaltung gebracht. Nicht zuletzt dadurch hat er sich sehr viele Verehrer erobert.

Den krönenden Abschluss fand das erzählerische Schaffen mit "Jörg Jenatsch". Lassen wir dazu P. Maurus Carnot selber sprechen: "Von meinen gedruckten Büchern und Büchlein und meinen Manuskripten in der Schublade will ich schweigen. Nur von einem der deutschen Bücher sage ich ein Wort, von meiner Bündnernovelle: "Die Geschichte des Jörg Jenatsch". Dieser Engadiner des 17. Jahrhunderts ging mir, dem Engadiner, jahrelang nach, ergötzte mich und - quälte mich, bis ich Ruhe vor ihm haben wollte und mich im Herbst vor etlichen Jahren entschloss, die Novelle zu schreiben. K. F. Meyers Novelle hatte ich vor Jahren gelesen; die etwas komplizierte Kunst des Zürcher Meisters bewunderte ich da und dort, aber noch öfters murmelte ich: "Das ist ja gar kein Engadiner, das könnte ein Tösstaler oder Emmentaler sein." Jenatsch konnte saufen und raufen wie seine Zeitgenossen; aber er war tief religiös wie sein und mein Inn, der tief unter und zwischen Felsen rauscht; seine Rückkehr zur alten Kirche war aufrichtig, wenn sie ihn auch nicht zum Heiligen meisseln konnte. So schrieb ich denn in langen feierlichsten Nächten meinen Jenatsch, ohne vom Zürcher Meister auch nur eine Zeile zu entlehnen, zuerst ein Stück deutsch, wieder eines, wenn das deutsche mich ermüdet hatte, romanisch, bis im November der deutsche und romanische Jenatsch meine Zelle verliess und bis ich so Ruhe vor meinem Landsmann hatte, aber auch - Heimweh nach ihm! "Dich schuf das Herz" - das Schillerwort rufe ich meinem Landsmann nach und hoffe, er werde sich durchhauen, vielleicht gerade den Literaturhistorikern zum - Trotz. -

 

Lyriker

Auf dem Gebiete der Lyrik hat er sein Wertvollstes geschaffen. Enrica von Handel-Manzzetti nennt ihn "vielleicht den besten Lyriker der Schweiz". Alle Stoffe, die er besingt, erstrahlen in Schönheit. Heimatliche Stoffe sind bevorzugt: Elternhaus, Wälder, Fluren, Bäche, das Kloster, Gottes Natur, Tierwelt, Pflanzen, historische Gestalten, u.v.a.

Der Lieder an die Mutter hat P. Maurus so viele und ergreifende gesungen, dass sie ihm den Namen eines Sängers der Mutterliebe eingetragen haben.

Während vieler Jahre hatte P. Maurus "in langen, müden Nächten den falben Blättern frische beigefügt" und manchmal dieses oder jenes Gedicht in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht. Auf Drängen seiner Freunde wurde dann 1914 ein stattlicher Gedichtband veröffentlicht, der als die bedeutendste Erscheinung des Jahres im literarischen Leben der Schweiz bewertet wurde. Sechs Jahre später erschien das etwas umgestaltete Werk in neuer Auflage. Er erste Teil bietet eine reiche lyrische Ernte, während der zweite mehr epische Dichtungen bringt. Heinrich Federer, der bekannte schweizerische Dichter schrieb P. Maurus Carnot nach dem Erscheinen des Gedichtbandes: "Das Buch wird mit der Zeit eine poetische, weltlich-geistliche Volkspostille. Gedulden Sie sich nur noch etwas. So was will Zeit. Aber es hat so starke Füsse und eine so gesunde Lunge und ein so menschengütiges, reiches, nur an's Verschenken denkendes Herz, dass es sich den Platz, den ich prophezeie, ganz selber und lachend verschafft." Leider ist die Prophezeiung nicht ganz in Erfüllung gegangen.

Neben den Gedichten der Mutterliebe müssen auch die Lieder an sein geliebtes Heimattal Samnaun genannt werden.

      Mein Dörflein im Frühlenz

      Nun will es wieder Frühling werden,
      Nun wird mein Dörflein frei von Schnee -
      Dort trieben einst die Lämmerherden
      Wir Knaben in den kleinen Klee.

      'Welch stolzer Ruf: "Du hast nur eines!"
      "Ich habe drei" "Ich habe vier!"
      Mit Lämmern prahlten sie - und keines,
      Kein einzig Lamm gehörte mir.

      Ich ging und brach am Ackerraine
      Blaublümchen für ein stilles Kind;
      Nicht wie die andern war die Kleine,
      Sie war, wie wohl nur Engel sind.

      Die Knaben wurden wackre Bauern
      Mit Haus und Stadel und Gesind;
      Ich aber zog zu stillen Mauern,
      Und in den Himmel zog das Kind.

      Doch immer muss das Aug ich senken,
      Wie oft ich Frühlingsboten seh',
      Und muss in jedem Lenze denken:
      Nun wird mein Dörflein frei von Schnee.

 

 

      Meiner Heimat Berge

      Am Stadttor hatt' ich halt gemacht,
      Mein volles Auge wurde trunken;
      Doch über all der stolzen Pracht
      Hat Grösseres mir zugewunken:
      Der Heimat hohe Berge.

      Ich stand am lockenden Portal
      Und sah der Venus Scharen winken;
      Da drohten ernst mit einem Mal
      Von fern her durch ihr stilles Blinken
      Der Heimat heil'ge Berge.

      Das Schönste hab' ich mir geträumt:
      Verklärte Hügel der Hellenen,
      Von Stadt und Golf und Hain umsäumt -
      Doch strahlen stunden hinter jenen
      Der Heimat schönste Berge.

      Ich weiss, ich weiss: zum letzten Gruss,
      Wie einst in meinen jungen Tagen,
      Bevor das Auge brechen muss,
      Sie werden mir noch einmal ragen,
      Der Heimat treue Berge.

      Bekennen will ich: eitel Spreu
      Ist mir die Macht auf Erden.
      So hoch und heilig, schön und treu
      Kann hier auf Erden nichts mir werden,
      Wie meiner Heimat Berge.

 

 

Von der tiefen Verbundenheit mit seinem Heimattale zeugt ein Sonett, das auch heute - oder gerade heute - in der deutschen Literatur mit Leichtigkeit bestehen kann.

 

      Letzte Bitte

       

      Wenn ich zum Sterben lieg' in meiner Zelle,
      - O möcht' es Abend sein! - den Blick gewandt
      Vom Sterbekissen auf den Erdentand,
      Wie zu der toten Natter buntem Felle;

      Wenn der geweihten Kerze duft'ge Helle
      Mir leuchtet in des Bruders feuchter Hand;
      Wenn er mir sagt: "Zieh hin zum heil'gen Land,
      Dein Engel führe dich zur Himmelsschwelle!"

      Wenn dann mein treuer Engel mich noch fragt
      Nach meines Herzens Wunsch zum letztenmale,
      Da schon die Ewigkeit am Fenster tagt:

      Dann fleh' ich: "Auf die Stirn, die totenfahle,
      Leg von der Tanne, die fern grünend ragt,
      Mir einen Zweig vom lieben Heimattale!"